12. Juli 2024
Gibt es ein Patentrezept zur Erholung?
Im Job erfüllt, aber in der Freizeit kaputt?
Ihr erlebt durch euren Job Erfüllung, seid motiviert bei der Sache und habt das Gefühl, eure Zeit mit etwas Sinnvollem zu verbringen? Prima! Erfüllung im Job macht uns zufrieden und glücklich. Aber Vorsicht: Unsere Arbeit, so viel sie uns auch geben mag, verlangt einen Ressourceneinsatz von uns: wir setzen unsere Zeit, unsere Energie, die Fähigkeit, unsere Emotionen zu regulieren und auch unsere physiologischen Kapazitäten ein, um unsere Aufgaben zu erfüllen. Und gerade diejenigen, die im Job hohe Anforderungen erleben und vielleicht gerade deshalb mit viel Einsatz und Leidenschaft bei der Sache sind, tun sich nach der Arbeit in der Regel schwer, ihren leeren Ressourcentank wieder aufzufüllen (z.B. Sonnentag, 2018).
Persönliche Ressourcen zu regenerieren bedeutet, sich zu erholen. Erholungsprozesse sind zentral für unser persönliches funktionieren, und ein Mangel an ordentlicher Erholung über längere Zeit sagt unter anderem Burnout-Symptome und geringere Lebenszufriedenheit vorher (Sonnentag & Fritz, 2014). Nur, wie funktioniert Erholung am besten?
Nicht das „Was?“ zählt, sondern das „Wie“
Soviel vorab: Es gibt kein Patentrezept zur Erholung, sorry. Das liegt daran, dass in der arbeitspsychologischen Forschung immer klarer wird, dass nicht die konkrete Aktivität zählt, mit der wir unseren Feierabend oder unser Wochenende füllen, sondern die psychologische Erfahrung, die wir dabei machen. Von diesen „psychologischen Erfahrungen“ gibt es vier Stück:
- Abschalten: Wann habt ihr es zuletzt geschafft, euch mental vollkommen von der Arbeit loszulösen? Am Feierabend nicht mehr an Probleme, Konflikte & Co. am Arbeitsplatz zurückzudenken, sondern euch ganz auf eure Freizeit zu fokussieren? Genau das ist mit dem Begriff „Abschalten“ (e. „Detachment“) gemeint. Aber das ist oft leichter gesagt als getan. Eine Möglichkeit, sich gedanklich besser abzugrenzen kann es sein, den Arbeitstag mit einem kleinen, wiederkehrenden Ritual abzuschließen und so einen bewussten Übergang zwischen Arbeit und Freizeit zu schaffen.
An diesem Beispiel lässt sich auch gut der obige Punkt illustrieren, dass eben nicht die konkrete Aktivität am Feierabend zählt, sondern unsere psychologische Erfahrung dabei. Dem einen hilft es vielleicht beim Abschalten, eine Runde Laufen zu gehen und den Kopf frei zu kriegen. Der nächste schaltet in der gemeinsamen Zeit mit Familie und Kindern ab. Hier ist ein Stück weit natürlich „Trial and Error“ gefragt, aber an erster Stelle auch ein Bewusstwerden über die eigene Freizeitgestaltung. Nehmt euch also ruhig mal kurz Zeit, um kurz brainzustormen: Welche Aktivitäten, denen ihr in eurer Freizeit nachgeht, ermöglichen es euch besonders gut, von der Arbeit abzuschalten?
Ihr habt einige Ideen gesammelt? Prima, dann wäre der nächste Schritt, die gefunden Aktivitäten wie ein kleines Ritual in die eigene Freizeit einzubauen.
Aber ich bin euch noch die übrigen drei psychologischen Erholungserfahrungen schuldig. Bitte schön:
- Entspannung: „Entspannung“ lässt sich am besten auf einer physiologischen Ebene beschreiben. Sind wir entspannt, ist unser sympathisches Nervensystem weitgehend inaktiv. Unsere Herzrate sinkt, unser Körper kommt zur Ruhe. Auch hier gilt: Dieser Zustand kann auf ganz verschiedenen Wegen herbeigeführt werden. Für den einen vielleicht durch die Lektüre eines guten Buches, für den anderen eine kurze Meditation.
- Mastery: Der Begriff „Mastery“ lässt sich nur schwer einwandfrei ins deutsche übersetzen, meint aber das eigenverantwortliche Bewältigen von Herausforderungen. Dieses Bewältigen von Herausforderungen löst in uns ein Gefühl von Kompetenz und Selbstvertrauen aus. Dabei können die konkreten Ziele, die wir uns setzen, auch ganz bodenständig sein. Wichtig ist nur das Gefühl: „Hey, ich habe heute etwas Neues geschafft und mich dabei ein Stück weiterentwickelt!“.
- Kontrolle: Abschalten, Entspannung, Mastery … schön und gut. Der Schlüssel, der uns überhaupt erst ermöglicht, diese Erfahrungen machen zu können, ist allerdings, dass wir soweit wie möglich selbst bestimmen können, wie wir unsere Freizeit gestalten. Fremdbestimmung ist quasi der Endgegner der Erholung. Wenn unsere Freizeitgestaltung wird durch äußere Zwänge, d.h. Termine, Fristen und lästige Aufgaben dominiert, werden wir es kaum schaffen, neue Ressourcen zu tanken! Diesen Zustand, ist er einmal eingetreten, wieder zu verändern, kann je nach individueller Lebenssituation natürlich schwer werden. Aber auch hier lohnt es sich, in kleinen Schritten zu denken. Vielleicht lässt sich ja doch auch irgendwo im Terminkalender eine kleine Insel für die Erholung freischaufeln? Eure Gesundheit wird es euch danken 😉
Also lautet das Zauberwort „Trial and Error“?
In gewisser Weise ja. Aber wie gesagt, der Erholungswert einer Freizeitaktivität bemisst sich daran, inwieweit, die vier oben genannten Erholungserfahrungen durch die Aktivität erfüllt werden.
Zum Schluss noch ein kurzer Appell: Einen Blogartikel lesen, schön und gut. Wollt ihr aber wirklich eure Ressourcen stärken und eure Erholung verbessern, kommt ihr nicht umher, auch konkrete Vorsätze zu fassen. Stichwort: SMARTe Zielsetzung. Nehmt euch also kurz Zeit und setzt euch für die kommende Woche ein oder zwei niederschwellige Ziele für eure Erholung. Ich wünsche euch viel Erfolg 🙂
Weiterführende Literatur
Sonnentag, S., Cheng, B. H., & Parker, S. L. (2022). Recovery from work: Advancing the field toward the future. Annual Review of Organizational Psychology and Organizational Behavior, 9, 33–60. https://doi.org/10.1146/annurev-orgpsych-012420-091355
Sonnentag, S., & Fritz, C. (2015). Recovery from job stress: The stressor‐detachment model as an integrative framework. Journal of Organizational Behavior, 36(Suppl 1), S72–S103. https://doi.org/10.1002/job.1924